An einem Sommervormittag in Hamburg möchte ich Hanne Ludwig-van Tricht treffen, um mit ihr über ihr Slow-Fashion-Label VAN TRICHT zu sprechen. Sie kommt mit einem großen Rollkoffer zu unserer Verabredung und öffnet ihn gleich zu Beginn des Gesprächs direkt vor unserer Kaffeebank auf dem Bürgersteig: Er ist randvoll mit sorgfältig gefalteten Röcken, Hosen, Hemden, Pullovern und Jacken. Nacheinander nimmt sie die Stücke vorsichtig heraus, faltet sie auf, streicht über die Oberflächen, zeigt Innen und Außen und stellt mir jedes der Teile einzeln und mit Hingabe vor: Sprechen über ihre Arbeit ist für van Tricht Zeigen, Fühlen, Falten, Wenden. Sie ist eine Mode-Designerin, die aus dem Dialog zwischen Körper und Kleidung heraus denkt und gestaltet – und dies auf zwei Ebenen:
So ist es in der Entwurfsphase der Reiz des materiellen Widerstands, der die Gestalterin fordert, das Wesentliche einer Idee zu erkennen und freizulegen. Hier sieht man die studierte Bildhauerin. Und es ist die dialogische „körperbildende Kraft“ (so Gertrud Lehnert in „Mode. Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis“), der von ihr entworfenen Kleidungsstücke, die zusammen mit dem Körper der Trägerin eine Körper-Haltung erschaffen.
Schon das erste Teil aus dem Koffer zeigt das Design-Prinzip sehr klar: Ein langer Rock aus schwarzem festen Pilot fordert allein aus seiner Materialität heraus einen architektonisch-geometrischen Schnitt. Und die feste Architektur dieses schwarzen Rocks wird der Trägerin ein skulpturhaftes Körpergefühl geben, eine starke Erweiterung der eigenen Physis im Raum. „Eine Rüstung“ nennt Hanne van Tricht diesen Rock.
Festigkeit ist ein wesentliches Element der Kollektionen. Dazu kombiniert sie weichere Stoffe wie feinste Wolle oder Leinen. Doch auch die weichen Materialien zeigen geometrische Elemente in der Schnittführung und verweisen auf ein auf Grundformen bezogenes Körperbild: runde Passen oder dreieckige Einsätze zeichnen sichtbar Abstraktionen der entsprechenden Körperformen der Innenseite nach. Die menschliche Figur ist, trotz deutlich unterschiedlicher Materialitäten, immer gefasst. Gerade die Beziehung zum Schematischen gibt den Silhouetten und damit den Trägerinnen Freiheit: Die Kleidung greift die Körperlichkeit der Trägerin dezent auf, ohne sie auszuliefern. „Menschengemäße Kleidung“ zu schaffen, ist der Wunsch der Designerin.
Textilien sind „slow objects, Gegenstände, deren Herstellungsprozess im besten Fall ablesbar bleibt“, so Sabine Maria Schmitt in „Den Faden wieder aufnehmen“ (Kunstforum International 297). Van Tricht zeigt großen Respekt vor dem Handwerk in allen Phasen der Fertigung. Sie wählt alle Beteiligten sorgfältig aus und sucht das Besondere und Bodenständige. Die Strickereien in Holland und Belgien, die Weberei und die Knopffabrik in Baden-Württemberg, die Fertigung in Bayern, die Färberei in der Schweiz – sie alle arbeiten in höchster Qualität, ökologisch und sozial gerecht. Ich sehe Knöpfe aus Steinnuss oder weißem Perlmutt, Stoffe, die mit Eichenrinde gefärbt wurden, ein Hemd aus seltener, von Natur aus farbiger Baumwolle ... und so sehe ich auch das, was wir so oft vergessen (wollen): die Arbeit der Weberinnen, der Färber, der Knopfmacher und der Strickerinnen.
Ich sehe auch van Trichts Mutter, die viele der komplizierten Strickmuster als Prototyp handstrickt, und ich sehe deren Bedeutungen aus der holländischen Fischer-Pullover-Tradition: den Lebensbaum, die Blitze, die Taue. Van Tricht erzählt von einer Ausstellung zu diesen alten Mustern, die sie zu ihren eigenen Strick-Designs inspiriert hat. Der Strick folgt in seiner Herstellung einem deutlich weniger skulpturalen Ansatz, doch auch hier markiert van Tricht bei einigen Stücken dezent die Körperarchitektur der Trägerin über den Maschenverlauf. Immer ist die Bildhauerin am Werk, die mit den Herausforderungen ganz unterschiedlicher Materialitäten sensibel umgehen kann und will. So war beispielsweise die Übersetzung der handgestrickten Proto-Designs für die Strickmaschine für sie ein herausfordernder Prozess. Aber auch hier war es die Eigenheit der Materialien und der Technik, sowie das gemeinsame Tüfteln mit den Strick-Experten, die sie besonders gereizt haben.
Viele Stücke verweisen auf einer weiteren Ebene auf körperliche Tätigkeit: neben den erwähnten Fischer-Pullovern sind auch andere Teile, vor allem Hosen und Röcke, in Schnittführung und Materialität inspiriert von Arbeiterbekleidung oder auch Vintage-Sportswear: Das Einfache, das Praktische und das Selbstverständliche werden lässig interpretiert und mit hoher Qualität zu Mode jenseits der immer kürzer werdenden Kollektions-Zyklen.
„Eleganz, die hält“. So sieht van Tricht den ökologischen Anspruch an ihre Arbeit. Eine Eleganz, die den Trägerinnen einen Begriff gibt von dem, was Mode auch sein kann: eine Kunst, die sich vor dem, womit sie umgeht, zurücknimmt und es respektvoll und in komplexer Einfachheit gestaltet. Van Tricht ist eine Designerin, die etwas schafft, „worin man leben kann“.
Katja Musenberg